Jugendstil

Jugendstil (1890 - 1920): die Erfindung des Neuen

Als Künstler und Kunstliebhaber gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach neuen Inspirationen und Gestaltungsmöglichkeiten von Möbeln suchen, sind sie sich zunächst in einem zentralen Punkt einig – der Abneigung gegen die überbordenden Stilwiederholungen der Gründerzeit mit ihrer nicht zuletzt der maschinellen Reproduktion geschuldeten „Beliebigkeit“. Weniger Konsens aber besteht in Hinblick auf konkrete Programme, von denen der Jugendstil in knapp zwanzig Jahren tatsächlich eine Vielzahl produzieren soll. Dennoch lassen sich in der Retrospektive einige zentrale Aspekte des Jugendstils herausstellen, die weitestgehend allgemeine Gültigkeit besitzen.

Auch national und regional unterscheiden sich die stilistischen Feinheiten erheblich, ablesbar ist dies schon an den unterschiedlichen Bezeichnungen von 1880 bis 1920. Ähnliche Stilrichtungen entstehen mit dem Art Nouveau in Frankreich, dem Modernismo in Spanien, dem Stile Liberty in Italien und der Arts and Crafts Bewegung in England.

Zunächst ist der Jugendstil etwas, das es in der Anlage und Abfolge der Stilepochen davor so nicht gibt: Er ist als Stil beabsichtigt. Der Jugendstil wird ganz bewusst „erfunden“, er stellt nicht einen in historischem Zusammenhang zugewiesenen Ordnungsbegriff wie Barock, Rokoko usw. dar. Und: Er kommt in seiner zeitgenössischen Verankerung und Modernität zunächst scheinbar ohne ein historisches Anlehnungs- oder Imitationsbedürfnis daher. Der Jugendstil soll neu sein, und er ist es tatsächlich – ohne Muster und Vorlagen.

Jugendstil Als ein Hauptmerkmal lässt sich die angestrebte Verbindung aus Organischem und Materiell-Funktionellem festhalten. Dies äußert sich einerseits in einer neuen Naturorientierung und dem Versuch, organische Wachstumsformen mittels floralen Motiven wie z.B. Blumen und Wurzeln nachzuempfinden. Anderseits prägen gerade in den späteren Jahren auch strenge geometrische Formen das stilistische Erscheinungsbild. Diese Synthese mitsamt ihrer bewussten Asymmetrien, Füllungen, Aussparungen, Kurven und Umschlingungen dient vor allem zur Belebung der Fläche und zur Kultivierung der dynamischen Linie. Damit wird im großen Rahmen durchaus auch die Forderung nach der großen Verschmelzung von „Kunst und Leben“ verknüpft. So streben die Verfechter des deutschen Jugendstils (Hermann Obrist, Peter Behrens, Otto Pankok und August Endell) zwar nach Zweckmäßigkeit und Materialgerechtigkeit, suchen aber darüber hinaus nach Lösungen, um durch industrielle Produktion ihre Entwürfe günstig realisieren zu lassen.

Bezüglich der konkreten Gestaltung von Möbelstücken ist es nicht möglich, einen auf wenige zentrale Charakteristika beschränkten Konsens zu benennen. Innerhalb des Jugendstils kommt es zur Bildung zahlreicher „Zentren“ unter anderem in Wien, Paris, München, Glasgow, Brüssel, Darmstadt und Nancy. Die zentralen Begriffe der Künstlergruppen wie „Wiener Sezession“ oder „Darmstädter Schule“ ergeben sich zum Teil direkt daraus. Zum Motor der Entwicklung avanciert ab 1896 die Zeitschrift „Die Jugend“, die sich als Förderer der neuen Kunstrichtung versteht. In Deutschland setzt sich aufgrund dieses Titels schließlich die Bezeichnung „Jugendstil“ durch.

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